Auf dem Elberadweg herrscht vom Frühling bis in den Herbst lebhafter Verkehr. Viele Radfahrer halten an der nächsten Bank an, holen Karten oder ihr Handy heraus. „Ist das Hitzacker da drüben?“ - „Ist da der Weg zur Fähre?“ Ja und Ja. Hier oben neben dem Findling als Erinnerung an den Deichbau 2002 und dem kleinen Bronzezwerg bietet sich ein fantastischer Blick über die Elbe und das weite Vorland. Hier sind Hitzacker und Bitter sowie Bitterwerder seit Jahrhunderten mit einer Fähre und alten Wegen verbunden. Hier an dieser Wege-Gabelung stand einst auch die Domäne „Herrenhof“. Ein Gutshaus mit Wintergarten, Viehställen und großem Bauerngarten. Ursprünglich gehörte es als „Zweigbetrieb“ (Vorwerk) den Herren vom Gut Dötzingen in Hitzacker. 1848 lebten in den beiden bewohnten Häusern 39 Menschen. Später wurde die Domäne verstaatlicht. Heute ist nur noch ein Teil der Scheune erhalten. In der DDR-Zeit wurden die Gebäude abgerissen und an ihre Stelle das Haus für den „Strombau“ gebaut. Auch heute ist das Wasser- und Schifffahrtsamt dort untergebracht.

Grenzöffnung am 19. November 1989

Hier oben stehen am 18. November 1989 die Männer der Blaskapelle Kaarßen und spielen so viel und so lange sie können. Angefeuert von mehreren 100 Bürgern der DDR. Sie alle warten auf die Öffnung des Grenztores. Aber erst nach durchwachter Nacht tut sich hier am 19. November der Weg über die Elbe auf. Um 12.15 Uhr öffnet sich das Grenztor in Herrenhof. Vorweg die Blaskapelle und dahinter die Bürger. Unten wartet das Fährschiff „Drawehn“ und macht um 12.43 Uhr drüben in Hitzacker fest mit Menschen an Bord, die sich bewegt und glücklich umarmen. Gleichzeitig wird in Herrenhof eine Kontrollstation eingerichtet: Zwei geschlossene Wagen, einer für die „Ausreise“ und einer für die „Einreise“ werden aufgestellt, Zöllner von weiter her herbeigeholt. Denn noch gelten die DDR-Reisebestimmungen. Erst am 24. Dezember dürfen auch Bürger aus dem Westen mit der Fähre übersetzen. Wieder spielt die Blaskapelle Kaarssen und diesmal feiert man gemeinsam in der Konsum-Klub-Gaststätte in Kaarßen. Auch die Grenzsoldaten der Nationalen Volksarmee dürfen feiern. Mitarbeiter des BRD-Zolls haben ihnen Hochprozentiges zum Fest geschenkt und stoßen auf gute Zusammenarbeit an.

Heimkehr viele Jahre nach der Flucht

Kurz nach der Grenzöffnung ist die Familie B. in ihrem roten Auto auf dem Weg von Dannenberg nach Herrenhof. Sie stehen vor ihrem Grundstück, einer Wiese. Das Haus war längst abgerissen. Zur Erntezeit 1960 waren sie von dort auf abenteuerliche Weise nach Hitzacker geflüchtet. Denn sie hatten gehört, dass sie zwangsausgesiedelt werden sollten. Zwei Spaten in ihrem selbstgebauten Floß (©Zeichnung der Familie) retteten ihr Leben.

Wenig später berichtete auch die Elbe-Jeetzel-Zeitung über die geglückte Flucht:„In mühsamer Arbeit hatte sich der Landwirt aus Holzlatten, Brettern und Autoschläuchen ein Boot gebastelt und einen Motor mit einer selbstkonstruierten Schraube eingebaut. In diesem Gefährt verstaute er Wäsche und Kleidungsstücke. … Unbemerkt von der VoPo (Volkspolizei) konnten die Eheleute mit ihren drei Kindern, Jungen von 1 ½ bis 3 Jahren, die gefährliche Fahrt über die Elbe antreten. In der Mitte des Stroms setzte der Motor aus und die VoPo bemerkte das Vorhaben. Durch Paddeln mit ihren Spaten konnte die Familie rechtzeitig das Ufer in Hitzacker erreichen“. Die Kinder hatten bei der Überfahrt aufgepumpte Fahrradschläuche als Rettungsringe um den Hals gehabt, heißt es weiter. Stabilisiert wurde das Fluchtfloß durch leere Milchkannen an den Seiten.

Es dauerte nach der Wende 10 Jahre, bis die Familie die Genehmigung bekam, auf ihrem Grundstück in Herrenhof wieder zu bauen. Auch der ebenfalls geflohene Nachbar gegenüber war nach der Wende zurückgekehrt. Sein Haus war ebenfalls abgerissen worden. An einem noch im Erdreich steckenden Stück Schlauch hatte er erkannt, wo früher mal der Pferdestall war.

De Grode Butt und was er uns sagen soll

Wer auf der Bank beim Fähranleger nur lange genug in die Elbe schaut, bekommt ihn vielleicht zu sehen – den sagenhaften „Grode Butt“. Man erzählt sich, dass dieses Fabelwesen im Mittelalter die neuen Deich von Hitzacker zerstört habe, um die Nixen und andere Wesen in der Elbe zu schützen. Heute erinnert eine Bronzeplastik auf dem Marktplatz an den Riesenfisch. Und eine Plakette mahnt Naturschutz an: „Denkt mal an die Elbe und an die Fische“.